Eine kleine Gruppe unerschrockener Lückerter Landeier heuerte im September 2011 bei dem alten Haudegen, Kapitän Ebo zum Ostsee-Segeltörn an, um im Kielwasser Störtebeekers das alte Königreich Dänemark zu plündern und zu brandschatzen.
Ein Berlingo ist ein geräumiges, aber auch höllisch unbequemes Gefährt, stellte ich auf der langen Anfahrt von Lückert bis zur Ostsee fest. Bei der Ankunft in Damp tat mir alles weh. Dabei hatte ich auf dem Beifahrersitz vermutlich noch den besten Platz gehabt. Was sollten da erst Silke, Moni und Gaby sagen. Wir waren nach einem nächtlichen Zwischenstopp in Hannover zeitig aufgebrochen und kamen recht früh am Hafen an. Nun hieß es noch auf Halina warten, die mit dem Zug angereist war. Und natürlich Ebo suchen, der die Tage zuvor schon mit einigen Kumpels auf dem Schiff die Ostsee unsicher gemacht hatte.
Nach der ersten Schiffsbegutachtung und der obligatorischen Einweisung an den Rettungswesten, Fendern und Enterhaken wurden die Vorräte durch Plünderung des nächstgelegenen Supermarktes gefüllt. Die recht unterschiedliche Vorstellung der Crew von „gemütlich Essen gehen“ in unserem Heimathafen machte den Abend etwas chaotisch und so landeten wir dann schließlich vom Hunger getrieben in einer äußerst bemittleidenswerten Pizzaria. Aber am nächsten Morgen brachen wir trotzdem gut genährt und bestens gelaunt zur großen Kaperfahrt gen Norden auf.
Unter strahlendem Sonnenschein stachen wir in See. Wind und Wetter sorgten bei der ungeübten Mannschaft aber bald für eine leicht schimmelige Gesichtsfarbe (zumindest bei mir), so dass der alte Seebär Ebo beschloss, das offene Gewässer zu meiden und für die nahende Nacht in Maasholm an der Schlei Schutz zu suchen. Wieder mit festen Boden unter den Füßen und mit ordentlich Hunger im Bauch, bestellte ich mir abends im Restaurant in guter Seemannsmanier ne sehr leckere Scholle, wohl wissend, dass das mit den Gräten immer so ne Sache ist. Die zugegeben unfachmännisch zerlegt wirkenden Überreste der Scholle räumte der Wirt dann humorvoll mit den Worten „Oh, das ist ja mal n Schlachtfest“ ab. Aber egal, als Landei darf man das. Wir waren ja schließlich mit Kapitän Ebo unterwegs und nicht mit Kapitän Iglo. Und ob ich nun am nächsten Tag bei Wetter und Seegang vorverdaute Scholle oder industriell gefertigte Fischpanade-Briketts an deren ehemaligen Artgenossen verfütten würde, war doch egal. Also Frischfisch!
Am nächsten Morgen hatte der Wind gedreht und das Schiff stand dadurch so ungünstig am Kai, dass wir beim Lösen der Leinen wohl in die Sackgasse des Hafens gedrückt worden wären. Aber das brachte den erfahrenen Kapitän nicht im Geringsten aus der Ruhe. Noch im Hafen ordnete er ein sehenswertes Wendemanöver an, bei dem das Schiff, am Heck fest mit der Hafenmole vertaut, unter voller Motorkraft zunächst die auf Slip gelegte Leine spannte. Unter seichtem Einschlag des Ruders legte das Boot dann, wie vom Zirkel gezogen, höchst elegant eine 180° Kurve hin. Unserem Weg nach Norden stand nun nichts mehr im Weg.
Nach einer erst sonnigen, bald grau verhangenen Überfahrt war es dann am späten Nachmittag endlich soweit: Der Hafen der dänischen Küstenstadt Sonderburg lag im Nieselregen scheinbar völlig ungeschützt vor uns. Fette Beute – wie eine reife Frucht, die geerntet werden will. Als List hissten wir zunächst die dänische Flagge, um unser wahres Freibeutergesicht zu verbergen. Mit klammen Händen und dampfenden Atem stand die Mannschaft gebannt und voller Anspannung an der Reeling, bereit jederzeit auf das kleinste Zeichen unseres Kapitäns an Land zu springen, um die Stadt im Handstreich zu nehmen. Doch das Zeichen blieb aus, denn das uns in Größe mehrfach überragende Flagschiff der Dänischen Krone, ein stolzer Dreimaster, lag unerwartet im Hafen. Die Verluste abwägend entschied sich der alte Recke stattdessen einfach am Kai von Sonderborg anzulegen, die Hafengebühr beim Hafenmeister zu zahlen und uns shoppen statt plündern zu schicken.
Am nächsten Tag wollten wir es dann weiter im Norden versuchen. Der Weg führte uns durch den schmalen und beschaulichen Als Sund, der am Ende in die offene Ostsee mündet. Dort nahm es dann aber recht schnell mit der Beschaulichkeit ein Ende. Bei einem Wendemanöver unter schwereren Böen kam es im Eifer des Gefechts zu einem Überläufer auf der Winsch, mit dem Ergebnis, dass die Leine des Vorsegels festklemmte und nicht mehr zu bewegen war. Das Segel blieb auf der falschen Seite und das Boot war plötzlich mehr oder weniger manövrierunfähig. Geistesgegenwärtig brach der Kapitän das Wendemanöver ab, machte einen großen Satz in Richtung Winsch und kappte mit seinem kürzlich eigens für die Fahrt neu erworbenen Bootsmesser in der Hand die festhängende Leine, die mit einem kräftigen Ruck das Segel wieder frei gab. Da es sich mit nur halb vertautem Vorsegel mäßig gut segeln lässt, zogen wir uns innerlich noch leicht aufgewühlt, aber guter Dinge wieder in den Als Sund zurück, um in Sonderborg erneut für die Nacht festzumachen. Hier hatte Ebo dann auch den Schaden in kürzester Zeit repariert.
Nachdem wir den nächsten Morgen mit einem ausführlichen Gaby-Hat-Geburtstag-Frühstück gestartet hatten, hissten wir die Segel und zogen unter meist freundlichem Himmel und Geleitschutz einiger Boote der Bundesmarine südwärts gen Eckernförde.
Die von gelegentlich schönstem Sonnenschein und stetigem Wind begleitete Überfahrt führte an malerischen Küsten und einigen zu meidenen UBoot-Übungszonen vorbei und mündete in der Eckernförder Bucht, die sich westwärts erstreckend unter Segeln nur kreuzend befahren ließ. Bei den vielen Wendemanövern verlor ich kurz vorm Hafen nicht nur meine Mütze, sondern wir auch wieder das Vorsegel, als die Rollfock-Mechanik sich vorne am Bug aus unerfindlichen Gründen verklemmte und nicht einholen ließ. Aber solch kleine Zwischenfälle brachte inzwischen niemand mehr aus der Ruhe. Und so sorgte die Art und Weise, wie Ebo das Problem löste, vermutlich nicht nur bei uns für Geschmunzel: Er wickelte das lose im Wind hin- und herschlagende Segel kurzerhand auf, indem er das Boot direkt vor den Augen der UBoot-Besatzungen im Marinehafen immer wieder im Kreis fuhr. Vermutlich selbst für erfahrene Seeleute ein eher seltener Anblick.
Die Nacht in Eckerförde war empfindlich kalt und regnerisch, und so waren wir froh, als sich am Nachmittag die Sonne auf dem Weg in Richtung Heimathafen Damp endlich wieder zeigte.
Unsere Kaperfahrt beschlossen wir dann bei einem gemeinsamen Abendessen im Landgasthaus Sieseby, bei dem ich mich wieder an Scholle versuchte. Aber auch diesmal sahen deren traurige Überreste auf meinem Teller nicht wirklich besser aus. Ich übe halt noch…
Vermutlich noch mit Seegang in den Knochen hab ich dann noch nachts im Schlaf so stark gegen den Rahmen getreten, dass das Hotelbett krachend auseinanderfiel. Zum Glück konnte man es wieder zusammenstecken und so stand danach einem erholsamen Schlaf ohne Geschaukel und Geplätscher nichts mehr im Weg, obwohl ich es im ersten Moment auch irgendwie vermisst hab.